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Nach jeder Ukraine-Tour denke ich über eine Frage nach: Wie kann ich all diese unsichtbaren Hände, die dazu beigetragen haben, sichtbar machen?
Mein Wecker klingelt. Es ist der 23. Dezember 2023, 21:30 Uhr. Ich ziehe mich an, fülle meine Thermobecher mit Kaffee und setze mich in den Transporter. In 13 Stunden bin ich in Lviv (Ukraine) mit Freiwilligen verabredet. Es sind 980 Kilometer, die ich liebevoll in 80 Ukrainische, 700 Polnische und 200 Deutsche einteile.
Der Fiat Ducato ist voll beladen. Und eigentlich ist heute kein Fiat, sondern der Schlitten vom Weihnachtsmann. Im Laderaum befinden sich 400 Geschenke1 für ukrainische Kinder, Tonnenweise IT-Ausrüstung, Nähmaschinen, Radiozubehör2, Werkzeuge, Verbandsmaterial, Winterkleidung und Möbel für eine Schule in Kherson.
Aber Pläne gehen manchmal nicht auf. Die Straße ist zwar leer, ich fließe durch die Nacht, aber der Grenzübergang Korczowa ist durch Hunderte von Ukrainer:innen verstopft, die zu Weihnachten nach Hause wollen. – Die Abfertigung dauert sechs Stunden, und danach beginnen die stressigen Momente: Das Jonglieren mit drei Telefonen, um die verschiedenen Gruppen von Freiwilligen auf dem Laufenden zu halten, nebenbei das Fahren in diesem rasanten osteuropäischen Stil, durch den Regen, um dann irgendwann auch wirklich pünktlich zu sein. Ich erreiche die Nova Poshta um 14:00 Uhr.
Eine solche Tour an Weihnachten ist toll! Einige Freiwillige haben mir Geschenke für andere Freiwillige mitgegeben und vice versa. Das sind so herzerwärmende Momente, diese Verbindungen zwischen all den Freiwilligen zu sehen, die Tausende von Kilometern voneinander entfernt diese Arbeit leisten. Mit der Ukraine stehen. – Ich liebe das! – Und ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich völlig fremde Menschen treffe, mit ihnen Pakete verpacke/sortiere, Transporter entlade/verlade, ihre Leidenschaft für diese Arbeit spüre, wir uns manchmal nur non-verbal verständigen um die 1000kg auszuladen und in den weiteren Versand zu bringen.
Ja, die globale Zivilgesellschaft existiert! Definitiv! Wenn Menschen frei sind! – Und ich hoffe, dass ich mir eines Tages all die Geschichten, die Dämonen und Träume dieser Menschen anhören kann, mit denen ich die letzten 22 Monate zusammenarbeiten durfte. Die Geschichten von diesen verrückten Amateurfunkern, den bunten Queers, den schwarzen Anarchisten, den Müttern und Jugendlichen, den unauffälligen und bunten Vögeln, die in ihrer Freizeit versuchen, sich gegen den russischen Angriffskrieg zu stellen. Unter anderem 400 Geschenke für Kinder organisieren und verpacken, 200 Krücken, 100 Rollatoren und 30 Rollstühlen irgendwo in Berlin einsammeln, oder unermüdlich Material einsammeln und per Paketdienst zu uns ins Lager schicken.
Wir umarmen uns zum Schluss, nehmen ein Foto auf. Wie beim Marathon, das Finisher-Foto und hoffen auf ein Wiedersehen. Etwas was in Deutschland selbstverständlich ist, aber in der Ukraine, ein Land Mitten im Krieg, keine Normalität mehr ist. Es kann immer das letzte Treffen gewesen sein.
Ich eile in der frühen Dezember Dunkelheit zurück zum Grenzübergang. Bereit für eine neue Runde Grenzroulette. Das ist ein echtes Glücksspiel! Ich sollte auf beiden Seiten ein Wettbüro eröffnen, denn:
- Man weiß nie, wie lange es dauert,
- in welcher Stimmung der Grenzbeamte ist
- was dieses Mal nicht stimmt.
Es ist nicht mein Lieblingsspiel, aber ja, ich versuche, es nach den Regeln zu spielen. So öffne ich das Spiel mit ich meinen Text auf der polnischen Seite:
Guten Abend!
Kein Alkohol, keine Drogen, keine Waffen, keine Munition, 80 Liter Diesel.
Zigaretten?
Nein.
Mist. Wieder die Zigarettenfrage vergessen. Aber ich werde besser!
Ich öffne die Motorhaube, alle Türen, trage alles auf die Google-Bank. Und hoffe, dass die Grenzbeamten nicht die eingepackten Geschenke öffnen, welche ich für ukrainische Freunde in Deutschland mitgenommen habe.
Ich bin zwar fast allein, aber diese Prozedur dauert trotzdem 1.) zwei Stunden. Aber der Grenzbeamte 2.) war sehr gut gelaunt und 3.) ich habe nichts falsch gemacht.
Willkommen in der EU. – Manche hassen dich. Ich habe dich in den letzten 22 Monaten lieben gelernt!
Die 900 Kilometer durch die klare Winternacht, auf fast leeren Straßen nach Hause, vergehen mal schnell und mal sehr langsam. Ich denke über all diese Eindrücke nach, die Menschen, die ich traf, die Sätze, die ich hörte, tanze zu lauter Musik, komme am Morgen in Berlin an. Ein wenig schlafen. Ausladen und das Auto zum Besitzer zurückbringen.
Und dann, wie immer die nächste Tour vorbereiten. Dieser Krieg ist noch lange nicht vorbei.
– Wer etwas dazu beitragen möchten, gerne. – Ich verbrenne gerade Tonnen an privatem Geld und freue mich über jeden Support. 3–
Herzlich
Sophie
- Diese ganzen Geschenke kamen von Berlin to Borders e.V. https://www.berlintoborders.org/ ↩︎
- Hier waren auch Viele Funktechnik und Hilfsgüter für Clubstation der Universität Zaporozhye – UR4QWW – mit gebracht worden. ↩︎
- Ihrem Spenden-Aufruf bin ich vor fast 2 Jahren gefolgt und habe viele Geräte und Ersatzteile mitgegeben. Über die Monate sind weitere Kontakte auch in DL erfolgt. Besonderes Treffen mit OM Valentin, im Mai in Bergheim, dem Lehrer – UY5QZ -der Clubstation. OM Valentin ist nun in DL Wohnhaft und Organisiert auch von DL weitere Hilfsgütertransporte. ↩︎
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